Seit zwei Jahren werden bei der AVL SCHRICK GmbH Projekte Agil aufgesetzt. Welche Erfahrungen seither mit Agilem Management zu Buche stehen und wie die Umsetzung konkret in der Praxis aussieht, berichtet DER AGILE MANAGER im Interview mit Geschäftsführer ROGER WILDEMANN.
DER AGILE MANAGER: Herr Wildemann, AVL SCHRICK entwickelt und testet Komponenten und Aggregate für verschiedenste Industrien. Was sind dabei typische Produkte, Projektziele und welche Fachbereiche sind darin involviert?
Typische Produkte sind Engineering-Dienstleistungen, wie Konstruktion, Berechnungen und Tests von Komponenten und Systemen. In der Automobilindustrie können das Motoren und Getriebe sein, aber selbstverständlich auch alles was mit der E‑Mobilität zu tun hat von der Software über die Antriebe, sprich E‑Komponenten wie Elektromotoren, Inverter etc. Außerhalb der Automobilindustrie bewegen wir uns deutlich öfter in Gesamtprojekten, die von der Verantwortung her umfangreicher sind. D. h. dort haben wir die Gesamtverantwortung für Produkte, wie z. B. Wärmepumpen, Kompressoren, Brennstoffzellen, etc., die in irgendeiner Form mit der Energiewende zu tun haben.
Projektziele können natürlich eine kleine Berechnung, eine kleine Konstruktion sowie ein einzelner Test sein, aber – und da wird Agiles Projektmanagement wirklich interessant – auch hochkomplexe Systementwicklungen. Es ist momentan der Trend festzustellen, dass EDLs (Engineering-Dienstleister) mehr und mehr in die Verantwortung genommen werden und größere und vollumfänglichere Projekte bearbeiten. Und da setzen wir Agiles Projektmanagement ein.
Der Trend im Markt ist ganz klar: von der kleinteiligen Vergabe von Projekten zu vollumfänglicher Verantwortung eines Projektes. Hier gibt es keine Alternative zu dem Einsatz von Agilem Projektmanagement. Das war auch unser Anknüpfpunkt für unsere aktuellen Großprojekte.
Aufgrund welcher Ausganssituation hat AVL SCHRICK beschlossen, Agiles Projektmanagement einzuführen?
Seit vielen Jahren erarbeiteten wir Problemlösungskompetenzen entweder alleine, in der AVL Gruppe oder auch mit unseren Kunden. Die haben natürlich alle ein Muster. Und das Muster ist, dass wir einen normalen Ablauf haben und irgendwann geht etwas schief, der Aufwand steigt überproportional. Dann gibt es eine Taskforce, Tag-und-Nacht-Aktionen und auch kein Wochenende mehr.
Im Agilen Projektmanagement ist es so, dass die Überraschungseffekte, die wir immer haben, deutlich weniger werden. D.h., dass wir kurz vor Projektende noch entdecken, dass substanzielle Dinge fehlen oder nicht ordentlich gemacht worden sind bleibt weitestgehend aus.
Der Gesamtaufwand ist, wenn man sich an das Agile Projektmanagement gewöhnt hat, kleiner als der Taskforce-Modus, den man immer wieder braucht, um am Ende etwas zu retten. Aus diesem Grund, setzen wir bei größeren Projekten Agiles Projektmanagement ein.
In welchen Projekten setzen Sie momentan Agiles Projektmanagement bei AVL SCHRICK ein?
Wir setzten Agiles Projektmanagement hauptsächlich im Non-Automotive-Bereich ein. Hier gibt es Projekte, bei denen wir ein Projektziel haben, das da lautet: „Am Tag X soll die Maschine Y mit den Leistungseigenschaften Z laufen und getestet zur Lieferung an unseren Kunden bereitstehen“.
Und genau hier setzen wir Agiles Projektmanagement vollumfänglich von der ersten Minute an ein. Dort sind nicht nur unsere Abteilungen, ob das Berechnung, Konstruktion, Testing oder alles was mit der Elektrifizierung zu tun hat, beteiligt, sondern auch oft standortübergreifende Abteilungen. D. h., dass wir BVCs (Best Value Countries) in z. B. der Türkei, Ungarn, etc. einsetzen oder auch Spezialisten aus der ganzen Welt mit einbinden, ein Konglomerat an Know-How über die Welt verteilt zusammenbringen, um hier der Verantwortung gerecht zu werden. Als Beispiel kann ich hier die Entwicklung einer Wärmepumpe für großindustrielle Anwendungen nennen.
Welche Veränderung im Team und Projektverlauf haben Sie bereits im ersten Agilen Projekt wahrgenommen?
Zuerst sind alle Teammitglieder zurückhaltend und haben Sorge über die anstehenden Veränderungen. In der Branche gibt es starke Ressentiments gegenüber Beratung von außen. Dann ist es gefühlt ein relativ hoher Aufwand, bis dann die Akzeptanzphase erreicht wird. Die Zurückhaltung weicht der Einsicht, dass das Agile Management insgesamt zu weniger Stress führt. Die große Sorge, dass am Ende des Projekts eine große Überraschung lauert, wird deutlich geringer. Dann kommt eine Art Verharrungsphase, die es zu überwinden gilt. Es ist Konstanz in der akribischen Umsetzung, sowie vollumfängliche Unterstützung des Managements gefragt. D. h. die Zwischenergebnisse, die Sprintergebnisse, etc. sollten regelmäßig diskutiert werden und die Konsequenzen aus den Ergebnissen zeitnah umgesetzt werden. Irgendwann geht der Prozess in die Normalität über.
Wie viele Projekte bei AVL SCHRICK führen Sie im Moment agil?
Aktuell haben wir 2 laufende Projekte. Ab einem gewissen Komplexitätsgrad macht es einfach richtig Sinn.
Welche Qualifikation sollte ein Agiler Coach mitbringen?
Das kann sehr facettenreich sein. Bei uns ist es immer sehr hilfreich, wenn der Coach aus der Technik kommt, um schnell Akzeptanz zu erlangen.
Dann kommen natürlich die ganzen Softskills dazu. Er muss beharrlich sein und darf keine Angst haben, den Finger in die Wunde zu legen. Er muss eine gewisse Empathie haben, um die Teams zusammen zu bringen. Er muss für Aus- und Weiterbildung sorgen.
Was sehen Sie als die wichtigsten Erfolgsfaktoren bei Einführung und Anwendung der Agilen Methodik an?
Es muss jeder dahinterstehen. Angefangen von mir als Geschäftsführer bis hin zu den Teammitgliedern. Vor der Einführung muss ausreichend Informations- und Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit alle Teammitglieder den gleichen Wissensstand haben. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die frühe Einbeziehung der Kunden.
Es ist also entscheidend, dass das obere Management die Einführung von Agilem Projektmanagement unterstützt?
Es ist essenziell, dass das Management von der Einführung und dem Gelingen überzeugt ist. Wenn da ein Zweifel besteht, dann muss man vorher die Zeit investieren, um zu überzeugen.
Wie entscheidend ist die Rolle des Agilen Coaches für den Projekterfolg?
Der Agile Coach ist immer dann von hohen Nutzen, wenn das Projekt in einer heißen Phase steckt und sich die Teams tief in kritischen Fachentscheidungen befinden. Hier bringt der Coach Ruhe und Systematik in das Team. Das ist unterschiedlich, je nach Erfahrung des Teams und Projektphase. Ohne Coach verwässert mit der Zeit die Methodik. Grundsätzlich ist es ein wesentlicher Erfolgsfaktor, wie der Agile Coach agiert und wie er seine Überzeugung transportiert und die Teammitglieder betreut. Das Coaching und die Methodik müssen auch sein persönliches Thema sein. Dies ist extrem wichtig.
Hat sich durch Agiles Projektmanagement die Kultur der Zusammenarbeit verändert?
Ja. Das Agile kommt ja nie alleine. Die Großprojekte bringen die Notwendigkeit der abteilungsübergreifenden Arbeiten deutlich mehr nach vorne. Das Miteinander spielt eine deutlich größere Rolle. Das Agile hilft uns, ein deutlich besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Abteilungen untereinander aufzubauen.
Wissen Ihre Kunden, dass Sie Agiles Projektmanagement anwenden und wenn ja, wie reagieren sie?
Essenziell ist, dass der Kunde sehr früh in das Vorhaben, das Projekt agil abzuwickeln eingebunden wird. Die Resonanz ist durchweg positiv. Die Kunden werden aktiv in die Prozesse involviert und wissen dadurch auch deutlich besser, wo wir stehen. Positiv ausgedrückt heißt das, der Teamgedanke wird gefördert.
Dieser Teamgeist spielt eine zunehmend größere Rolle in unserem Umfeld. In der Startup-Szene und den dazugehörigen Investoren hat sich hier ein Wandel vollzogen. Für den EDL waren bisher typische Fragen eines Investors:
„Was hältst Du von dem Produkt, was glaubt Du wieviel Geld brauchen wir noch, bis das in Serie kommt? Wie viel kann man damit verdienen? Welche Kunden kennst Du? usw.“ Heute gibt es einen ganz anderen Schwerpunkt, es geht nur noch um Themen zum Team und Teambuilding: „Wie gehst Du mit Deinem Team um? Wie sind Deine Führungsstrukturen? Wer spricht mit wem beim Kunden? Wie hast Du den CEO von den Kunden XY kennengelernt? Wie oft sprecht ihr miteinander? Wie tauscht ihr euch miteinander aus? Habt ihr schon einmal einen Streit miteinander gehabt?“
Und genau da ist das Agile Projektmanagement „on the spot“. Das Agile Management ist gerade mit der Zusammenarbeit von Investoren aus dem angloamerikanischen Bereich als Argument und Instrument hervorragend geeignet.
Meist scheitert es daran, dass Teams nicht vernünftig miteinander arbeiten. Gerade die Welten von Startups und konventionellen Unternehmen sind sehr verschieden, und das gilt es auf einen Nenner zu bringen. Erfahrung und Euphorie müssen miteinander klarkommen. Agiles Projektmanagement ist da ein Weg.
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